Aktionen, Projekte und Berichte von Manuel Sutter

Modellierung einer Windenergieanlage 22. März 2010, Projekte | # , ,
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Abbildung 1: Windenergieanlage München Fröttmaning

Im Studiengang Elektro- und Informationstechnik der TU München muss nach dem Vordiplom eine Studienarbeit verfasst werden. Es bestand zu meiner Zeit die Option sich diese Arbeit als Bachelorarbeit anerkennen zu lassen, da die fachlichen Voraussetzungen identisch sind. Dies war nur an dieser Uni möglich und nannte sich Münchener Modell.

 

Die Bachelorarbeit wollte ich thematisch im Bereich erneuerbare Energien schreiben. Ich suchte mir also einen Lehrstuhl an der Uni, der Arbeiten auf diesem Gebiet anbot. Gesucht und gefunden fiel meine Wahl auf das Fachgebiet Elektrische Energieversorgungsnetze (EEN), welches von Prof. Witzmann geleitet wird. Mein Thema lautete „Modellierung einer Vollumrichter-Windkraftanlage“. Die Inhalte der Arbeit will ich im Folgenden vorstellen.

Einleitung

Der Ausbau der Windenergie in Deutschland geschieht rasant – so rasant, dass oftmals der Netzanschluss der Anlagen eine Schwierigkeit darstellt. Ganz besonders deutlich wird dies bei Offshore-Anlagen, die unter hohem Aufwand in der Nordsee errichtet werden und die Energie aufs Festland liefern müssen. Das Stromnetz wird aus diesem Grund seit einigen Jahren für die Aufnahme von Windstrom fit gemacht. Hierfür werden auch auf wissenschaftlicher Ebene gute technische Lösungen gesucht. Am Fachgebiet EEN wird unter anderem erforscht, wie man diese in Zukunft zu erwartenden großen Energiemengen auf das Festland zum Verbraucher transportiert, oder auch wie sich Offshore-Windparks mit ihrer fluktuierenden Einspeisung am Onshorenetz verhalten und dieses beeinflussen. Dazu werden entsprechende Netzsimulationen durchgeführt. Meine Aufgabe war es ein Modell einer Megawatt-Synchrongenerator-Windenergieanlage zu entwickeln. Der Fokus sollte dabei einerseits auf der Abbildung physikalischer Effekte der Windenergiewandlung liegen. Andererseits sollte das elektrische Verhalten am Netz die sogenannten Netzanschlussregeln der Übertragungsnetzbetreiber erfüllen.

Grundlagen

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Abbildung 2: Anlagenhäufigkeit nach Generatortyp in Deutschland

Bereits vor mehreren tausend Jahren wurde die Energie des Windes technisch genutzt. Ein großer Entwicklungsschub fand alledings erst im vergangenen Jahrhundert statt. Nach den Ölkrisen der 70’er Jahre wurden systematisch Anlagen gebaut, die auf dem Auftriebseffekt basieren. Im Vergleich zu historischen Windmühlen bestehen die Flügel hier nicht aus ebenen Flächen, sondern aus einem aerodynamischen Profil, ähnlich einem Flugzeugflügel. Die Effizienz solcher Anlagen ist deutlich höher.

 

Neben den bekannten Anlagen mit drei Rotorblättern, wurden auch Systeme mit einem, zwei oder mehr als drei Rotorblätter gebaut. Die heute geläufige Variante hat sich aus Gründen der Lebensdauer und des Preises durchgesetzt. Denn wenn eine Anlage weniger Rotorblätter besitzt und die gleiche Leistung erbringen soll, muss sie sich schneller drehen, um in der selben Zeit eine größere Fläche zu überstreichen. Mehr Rotorblätter bedeuten dagegen neben verstärktem Materialeinsatz einen höheren Preis und höheres Gewicht.

 

Aus elektrotechnischer Sicht existieren zum heutigen Zeitpunkt in Deutschland zwei Arten von Anlagen. Einerseits diejenigen mit doppelt gespeisten Asynchrongeneratoren (DFIG) und andererseits solche mit Synchrongenerator. Früher wurden auch Turbinen mit reinen Asynchronmaschinen gebaut. Die Marktanteile der verschiedenen Generatorkonzepte sind in Abbildung 2 dargestellt. Weiter verfeinern lassen würde sich die Aufteilung durch die Einbeziehung verschiedener Umrichterkonzepte oder die stark im Aufschwung befindlichen permanenterregten Synchrongeneratoren.

Modellierung einer Windenergieanlage

Übersicht des Gesamtmodells

Abbildung 3: Übersicht des Gesamtmodells

Das Modell wurde in der Software Siemens PSS Netomac erstellt. Diese Software wird unter anderem von den Energieversorgern eingesetzt, um den Einfluss von Erzeugungsanlagen auf das Netz zu bestimmen. Zudem können auch kritische Fälle simuliert werden. So mächtig die Software zwar auch sein mag, Bedienung und Programmierung sind sehr gewöhnungsbedürftig: Denn im Prinzip wird dort im Texteditor eine Tabelle aufgebaut, die sämtliche Anweisungen enthält. Nach einer Eingewöhnungszeit kommt man damit aber schon zurecht.

 

Um das Modell realitätsgetreu abzubilden, wurden die technischen Eigenschaften einer aktuellen Anlage in der Leistungsklasse 6 MW zugrunde gelegt. Die einzelnen Funktionen und Systemblöcke wurden dann entsprechend ihrer Wirkungsweise erstellt und miteinander verschaltet. Abbildung 3 zeigt hierzu eine  Übersicht der wesentlichen Komponenten sowie deren Interaktionspfade. Grundsätzlich sind dort zwei Bereiche dargestellt – einerseits das Lastflussmodell auf der linken Seite und andererseits die Reglungsblöcke auf der rechten Seiten. Diese Einteilung ergibt sich durch das Simulationsprogramm, da das Lastflussmodell eine Voraussetzung für die Netzberechnung ist und in meinem Modell direkt den Netzanschluss darstellt.

Physikalisches Verhalten

Normierte Leistungskennlinie einer Windenergieanlage

Abbildung 4: Normierte Leistungskennlinie einer Windenergieanlage

Mehrere Regelungsblöcke setzen die physikalischen Eigenschaften um. Bei der Umwandlung der kinetischen Energie des Windes treten nichtlineare Effekte auf. So wächst die Windleistung mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit (vgl. Abbildung 4). Dies bedeutet, dass bei niedriger Windgeschwindigkeit nur sehr wenig Strom erzeugt werden kann (Bereich 1). Mit höherer Geschwindigkeit steigt dann aber auch die Generatorleistung recht schnell an (Bereich 2) . Ab einer bestimmten Geschwindigkeit würden sich die Rotorblätter zu schnell drehen, weshalb die Leistung der Windturbine auf die Nennleistung des Generators reduziert wird (Bereich 3). Dies geschieht über das Pitchsystem. Hierbei wird der Anstellwinkel des Flügelprofils verändert und die Flügel aus dem Wind gedreht. Während stürmischer Windgeschwindigkeiten wird auf diese Weise die Leistung noch weiter reduziert, um die Anlage zu schützen (Bereich 4).

Pitchsystem-Regler

Abbildung 5: Pitchsystem-Regler

 

Offensichtlich spielt das Pitchsystem eine wichtige Rolle bei der Kontrolle der mechanischen Turbinenleistung. Aus diesem Grund beschäftigte ich mich ausgiebig mit dieser regelungstechnischen Aufgabe. Mehrere Berechnungen und Versuche zeigten mir, dass ein PI-Regler mit Begrenzung in der Lage ist, den Pitchwinkel richtig einzustellen. Da in der Realität eine gewisse Totzeit bei der Verstellung des Rotorblattwinkels auftritt, wurde zusätzlich eine Optimierung eingebaut: Der PI-Regler wurde um einen sogenannten Smith-Predictor erweitert. Dabei handelt es sich um eine prädiktive Regelung mit der sich die Totzeit der Strecke kompensieren lässt, was eine schnellere Reaktionsfähigkeit des Systems zur Folge hat. Das gesamte Regelungsschema des Pitchsystem ist in  Abbildung 5 dargestellt.

Elektrisches Verhalten

Frequenzregelung

Abbildung 6: Frequenzregelung

Die Netzanschlussregeln (Gridcode) legen fest, wie sich eine Erzeugungsanlage am Elektrizitätsnetz verhalten muss. Dementsprechend muss ein gutes Modell ebenfalls diese Vorgaben erfüllen. Im Wesentlichen sind hierbei Frequenzabweichungen sowie Spannungseinbrüche zu berücksichtigen, da der Betriebszustand jedes Netzes durch die beiden Parameter Frequenz und Spannung definiert ist.

 

Außerdem besteht in einem Energieübertragungsnetz ein Zusammenhang zwischen der Netzfrequenz und dem Leistungsgleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch. Wird durch die Kraftwerke mehr Strom produziert als verbraucht wird, dann kommt es zu einem Anstieg der Netzfrequenz. Um einer weiteren Frequenzerhöhung entgegen zu wirken, müssen Windenergieanlagen ihre Wirkleistungsabgabe absenken. Sinkt die Frequenz wieder, muss die Leistungsabgabe konstant gehalten werden und erst bei Rückkehr auf einen noch kleineren Wert (z.B. 50,05 Hz) darf die Wirkleistung langsam wieder erhöht werden. Diese Vorgabe führt auf die Ablaufpfade, wie sie in Abbildung 6 schematisch gezeigt sind und auch im Modell umgesetzt wurden.

 

Bezüglich der Spannung gibt es im Netz einen weiteren Zusammenhang, der mit dem Blindleistungshaushalt in Verbindung steht: Blindströme verursachen einen größeren Spannungsabfall, als dies bei Wirkströmen der Fall ist. Kommt es beispielsweise durch einen Kurzschluss zum Absinken der Spannung, so kann diese durch eine erhöhte Blindstromeinspeisung wieder angehoben werden. Windenergieanlagen müssen sich deshalb, laut den Netzanschlussregeln, auch an der Spannungshaltung beteiligen, indem sie einen zusätzlichen Blindstrom abgeben oder aufnehmen. In extremen Fällen muss die Anlage sich auch gänzlich vom Netz trennen können. Diese wichtigen Vorgaben sind ebenfalls in dem Modell implementiert.

Simulationen

Wiederanfahrvorgang nach Trennung vom Netz

Abbildung 7: Wiederanfahrvorgang nach Trennung vom Netz

Um das Modell zu verbessern und abschließend seinen vollen Funktionsumfang zu testen, wurden mehrere Simulationsrechnungen durchgeführt. Beispielsweise der Fall, dass sich die Anlage nach einem Kurzschluss und einer Trennung vom Netz, wieder selbstständig anfährt (Abbildung 7). Bemerkenswert ist dabei die Drehzahlerhöhung ab Sekunde 30. Zu diesem Zeitpunkt findet die Netztrennung statt und die Turbine beschleunigt nun ohne das Widerstandsmoment des Generators ihre Drehzahl. Um dem entgegenzuwirken wird gleichzeitig der Pitchwinkel erhöht, mit dem Ziel, die Turbinenleistung zu reduzieren. Der ganze Wiederanfahrvorgang erstreckt sich über 10 Minuten, so wie es die Netzanschlussregeln verlangen. Dabei schwankt aber die Leistungsabgabe weiterhin, weil natürlich auch die Anlagenleistung von der veränderlichen Windgeschwindigkeit abhängt. Weitere Betriebsfälle wurden ebenfalls simuliert und sind einschließlich der Ergebnissdarstellung in der Arbeit vollumfänglich nachzulesen.

Zusammenfassung

Für mich ist es ein interessantes Thema gewesen, zumal an der Uni nur wenige Aufgabenstellungen im Bereich erneuerbare Energien angeboten wurden. Natürlich war es auch eine Herausforderung sich neben dem normalen Vorlesungsbetrieb so einiges an neuem Wissen anzueignen. Allerdings liegt der Reiz bei eigenen Arbeiten generell auch darin, dass man die Umsetzung größtenteils nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten kann. Der tiefere Einblick in das Thema hat mir schließlich auch gezeigt, dass Windenergieanlage komplexe Systeme sind, in denen eine Menge Know-How steckt.

Download der Langfassung: Modellierung Windenergieanlage